Im Land wo Rum und Honig fließen
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Im Land wo Rum und Honig fließen

Noch drei Tage bleiben mir, bis mein Visum ausläuft. Gerade noch genug Zeit für einen letzten kleine...

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Im Land wo Rum und Honig fließen

Eintrag vom 22.06.2016 aus dem Reisefibel-Blog: Im Land wo Rum und Honig fließen (Jörg Werner)

Noch drei Tage bleiben mir, bis mein Visum ausläuft. Gerade noch genug Zeit für einen letzten kleinen Radausflug von Havanna in die Sierra de Guanahacabibes, um bestellte kubanische Spezialitäten zu organisieren: zum einen ein Paket Zigarren für einen Freund daheim. Zigarren gibt es zwar auf Kuba an jeder Straßenecke mehr oder weniger legal, allerdings nicht die von meinem Bekannten Don Pedro, der in San Diego im Ein-Mann-Betrieb die kleinste kubanische Zigarrenfabrik betreibt. Er stellt in erster Linie Monte Christo Nro. 3 – die Lieblingsmarke Che Guevaras – her und hält seine Fabrikate für die besten der Welt. Zum anderen hat sich meine Freundin Paula kubanischen Berghonig gewünscht, den wiederum sie für den besten der Welt hält. Für soviele Superlative begebe ich mich natürlich gerne auf den Weg.

Während im heimatlichen Deutschland der Frost Eisblumen an die Scheiben zeichnet und Fahrradfahren durch Schnee und Matsch nur noch sehr bedingt Spaß macht, weht mir ein frisches Lüftchen entgegen und ich trete freudig in die Pedalen. Ab und zu überholt mich ein rostiger alter Straßenkreuzer aus den 50er Jahren; ich verlasse Havanna radelnd auf der ansonsten fast leeren Autobahn. Das ist nicht nur der schnellste Weg, sondern in Kuba auch völlig legal. So teile ich mir die Piste mit der skurrilsten Mischung von Fahrzeugen des vergangenen Jahrhunderts; Kuba – ein riesiges Freiluftmuseum der Fahrzeuggeschichte.

Gerade fährt eine voll bepackte und in einem wunderbar altmodischen blau gestrichene russische Ural-Seitenwagenmaschine laut knatternd an mir vorbei.

Auch sonst gleicht eine Fahrt nach Kuba eher einer Zeitreise, sodaß alte Nostalgiker wie ich voll auf ihre Kosten kommen. Vielleicht ist das ja sogar der Grund, weshalb ich immer wieder nach Kuba zurückgekommen bin und mir inzwischen sogar von Zeit zu Zeit als Radreiseleiter meine Pesos verdiene. Dem geneigten Leser möge also klar sein, daß meine Wahrnehmung das eine oder andere Zeichen von Modernisierung wie beispielsweise die nagelneuen Mietwagen chinesischer Fabrikation bewußt ausblendet und mein Ohr auch eher die guten alten Klänge von Rumba oder Son wahrnimmt und die harten elektronischen Beats des Regaton überhört…

Fast zwei Monate bin ich jetzt schon wieder hier, habe zwei Gruppen deutscher Radler durch Ost- und Zentralkuba geführt. Eigentlich bin ich kein Freund geführter Reisen, aber in Kuba ist auch das etwas anders. Wenn man sich hier nicht auskennt, ist alles ungleich schwieriger. Es gibt keine vernünftigen Karten, geschweige denn Wegweiser; selbst Ortsschilder sind kaum existent. Wozu auch, man kann ja fragen, denn soviel wie in Deutschland Straßenschilder am Straßenrand stehen, sind es in Kuba Kubaner – letztere allerdings zwangsläufig auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Zum Fragen sollte man aber Spanisch können, denn bis auf ein paar sogenannte Jineteros – eine „Berufsgruppe“, die sich auf das Abzocken von Touristen spezialisiert hat, spricht kaum ein Kubaner eine Fremdsprache. So ist es einfach wirklich von Vorteil, wenn man jemanden dabei hat, der sich auskennt: wo kann man im Fluß baden, wo frische Früchte kaufen, wo seine Wäsche waschen lassen und wo wird abends Salsa getanzt. Zum Fahrradfahren an sich ist Kuba dann wieder bestens geeignet: das Straßennetz ist zu über 90% asphaltiert; wenn auch nicht immer in allerbester Qualität, so doch bemerkenswert und für die Tropen stark von Vorteil. Und dann hat man eben die Landstraße fast immer für sich allein, sodaß man problemlos um die noch so tiefsten Schlaglöcher herumfahren kann…Außerdem ist das Fahrrad auch für die Kubaner (mangels Alternative) ein beliebtes Fortbewegungsmittel.

Das Ural-Seitenwagengespann ist wieder aufgetaucht; nur daß ich diesmal überhole, denn die Maschine ist mit einer Panne am Straßenrand liegengeblieben. Mutter und Kind stehen geduldig wartend da und sehen zu, wie Papa ölverschmiert zu reparieren versucht. Er ruft mir etwas zu, daß ich zwar nicht verstehe, aber die Geste ist eindeutig: er braucht Hilfe. Wie sich schnell herausstellt, ist der Benzinschlauch gebrochen. Mein Isolierband und ein deutscher Kabelbinder wirken Wunder und binnen kürzester Zeit ist der Schaden behoben; im Improvisieren sind die Kubaner unübertroffen. Während der Beiwagen neu beladen wird, mache ich mir unter nicht enden wollenden Dankesbekundungen bereits auf die Weiterreise.

Inzwischen steht die Sonne hoch am Himmel und die ersten Berge sind zu sehen. Ein junger Afro-Kubaner auf einem großen rostigen Chinarad gibt alles, um mich zu überholen. Erstaunlich, was er aus der „alten Kiste“ herausholt, zumal er, wie ich später feststelle, auf dem Gepäckträger unter einem riesigen Bananenblatt ein lebendes Schwein transportiert…Natürlich kann ich mir keine Blöße geben und so gelangen wir beide gleichzeitig schwer verschwitzt an die Abzweigung nach San Diego, als uns unter lautem Jubel der gesamten Besatzung die Ural-Maschine wieder überholt.

San Diego de los Baños ist ein kleines Städtchen so recht nach meinem Geschmack; wegen seiner Thermalquellen bereits vor über 100 Jahren ein beliebter Ausflugs- und Kurort für die Bewohner Havannas, ließen diese offensichtlich einiges an Geld dort, was noch heute in der Architektur sichtbar ist, die sich in einem romantisch-verfallenen Zustand präsentiert. Das Leben spielt sich auf der Straße ab: Jungpioniere spielen auf dem Heimweg von der Schule Fußball, ein Ochsenkarren mit Baumaterial wird in tropisch-träger Langsamkeit von ein paar Männern entladen, hübsche junge Mädchen in natürlich viel zu kurzen und im krassen Gegensatz zum umgebenden Verfall stehend unglaublich sauberen Kleidchen flanieren auf der Straßenmitte und aus einer offenen Türe erklingt die sehnsuchtsvolle Melodie eines alten Boleros.

Natürlich hat es sich schon rumgesprochen, daß ein Yuma, ein Ausländer, in der Stadt ist und Don Pedro lacht das breiteste Lächeln, das die im Munde befindliche Zigarre zulässt, als er mich vom Schaukelstuhl seiner Veranda aus erkennt. Nach dem ausgiebigen Austausch aller Neuigkeiten und dem obligatorischen „Cafecito“ begeben wir uns zum „geschäftlichen Teil“ in die hinteren Räume, denn natürlich darf Pedro offiziell keine Zigarren gegen Devisen und schon gar nicht an Ausländer verkaufen. Trotzdem lobpreist er seine Produkte und ihre internationale Abnehmerschaft in einer mir längst bekannten und nicht enden wollenden, aber auch immer wieder herrlichen Litanei, die mit ordentlich Rum unterstrichen wird. Das ist gewissermaßen der Anfang einer wilden Party, für die ich das Bier, die Frauen das Essen (es gibt natürlich Reis mit Bohnen) und die Männer den Rum beisteuern. Musik läuft sowieso schon die ganze Zeit und so läßt auch das Tanzen nicht lange auf sich warten; hier fordern die Frauen auf, die Stimmung kocht. Kein Halten ist mehr, als dann noch das Paar vom Ural-Gespann auftaucht, das natürlich im gleichen Block wohnt. Der Rum fließt in Strömen…

Als ich morgens aufwache brummt mir fürchterlich der Schädel. Gut gegen Kater, so hatte ich daheim gelesen, solle Honig sein. Richtig, da war doch noch was! Da alle noch schlafen, hinterlasse ich einen Zettel zum Abschied und mache mich auf den (Rad-) Weg. Die Bewegung und die frische Luft bei der Fahrt tun mir gut. Der Ort mit dem Honig liegt auf einer Nebenstrecke schon wieder auf dem Rückweg nach Havanna. Auch hier ist die Freude groß, als mich Rudolfo, der Imker, wiedererkennt. Das erste Mal hatte ich bei ihm den vollen Touristenpreis in Peso Convertible bezahlt, später wurde ich dann als Kubaner behandelt und durfte in kubanischen Peso bezahlen. Heute will er mir die Flaschen – der Honig wird hier mangels Gläsern in leere Havanna-Club Flaschen, deren Anblick in meinem Kopf ein starkes Stechen auslöst, gefüllt - sogar schenken. Außerdem lädt er mich zu einem Glas Rum ein, das ich allerdings dankend ablehne. Auch das gut gemeinte Angebot, doch über Nacht zu bleiben, nehme ich nicht wahr. Stattdessen trete ich die Heimfahrt nach Havanna an, die leeren Straßen mit ihren vereinzelten, aber durchweg sehenswerten Fahrzeugen genießend.

Eigentlich müßte ich den letzten Abend nutzen, um meine Sachen zu packen und mein geliebtes Fahrrad einzumotten. Aber das muß bis morgen früh warten. Den letzten Abend in Havanna verbringe ich lieber damit, noch einmal den einzigartigen Charme dieser ungewöhnlichen Stadt und ihrer wunderbar-verrückten Bewohner vor surreal- morbiden Kulisse einzusaugen, gemeinsam mit einem wehmütigen Glase - doch wieder - Rum, denn schließlich weiß ja keiner, wie lange in Kuba alles noch so bleiben wird.

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